Der Stadtrat von Wolfratshausen hat vergangenen Dienstag eine neue Fassung seiner Informationsfreiheitssatzung beschlossen. Künftig gilt für Bürger, die von der Verwaltung etwas wissen wollen, dass sie schriftlich plausibel begründen müssen, warum sie Auskunft fordern. Damit ist Wolfratshausen vom Vorreiter in Sachen Informationsfreiheit in Bayern zum Schlusslicht geworden, denn eine solche Begründungspflicht gibt es bislang in keiner der rund 80 kommunalen Satzungen.
Zu befürchten ist allerdings, dass andere Kommunen diesem Beispiel folgen werden. Hintergrund ist der neue Artikel 36 im Bayerischen Datenschutzgesetz. Den hat die bayerische Staatsregierung vor einem Jahr in Kraft gesetzt - vorgeblich, um allen Bürgern ein "Recht auf Auskunft" bei Behörden zu garantieren. Doch die Einschränkungen, die damit verbunden sind, zementieren nun den Status der Nicht-Informationsfreiheit in Bayern. In keinem anderen Land, in dem eine gesetzlich garantierte Informationsfreiheit besteht, gibt es eine solche Begründungspflicht. Erste Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass die bayerischen Behörden das Recht äußerst restriktiv anwenden und die Begründungspflicht zum Anlass nehmen, Informationsanfragen abzuwimmeln. Und auch in Wolfratshausen haben die liberalen Regelungen in der Praxis nie wirklich funktioniert. Anfragen wurde weder stattgegeben noch wurden sie überhaupt beantwortet, sondern in mehreren Fällen hat die Verwaltung diese auch auf Nachfrage schlicht und einfach ignoriert. Nur dort, wo Politik und Verwaltung Bürger faktisch immer noch als Untertanen betrachten, kann man so mit ihnen umspringen.
Ursprünglich hat es in Wolfratshausen die fortschrittlichste Informationsfreiheitssatzung in ganz Bayern gegeben, die sich von ihren Regelungen mit dem Transparenzgesetz in Hamburg vergleichen ließ - dem fortschrittlichsten Informationsfreiheitsgesetz in Deutschland. Nicht nur, dass das Recht auf Auskunft ein Jedermannsrecht ist, das keiner Darlegung eines berechtigten Interesses bedarf (weil Bürger und Steuerzahler eben per se berechtigt sind, kontrollierend Einblick in das politische und Verwaltungshandeln zu nehmen); die Satzung verpflichtet die Behörden auch, Informationen nicht erst auf Antrag herauszugeben, sondern Informationen von allgemeinem Interesse schon von sich aus im Netz zu veröffentlichen - nicht zuletzt auch, um den Aufwand einer individuellen Antragsbearbeitung zu verringern. Zudem wurde mit der Wolfratshausener Satzung der erste (kommunale) Informationsfreiheitsbeauftragte Bayerns ins Amt gesetzt. An ihn sollten sich die Bürger wenden können, wenn sie sich in ihren Auskunftsrechten nicht richtig behandelt fühlten. Doch die Praxis in Wolfratshausen zeigte auch hier schon bald: Wer sich auf den Informationsfreiheitsbeauftragten verließ, war verlassen genug. Er stellte in vielen Fällen seine Ohren auf Durchzug und hielt ebenso wie die Verwaltung die Bürger zu wiederholten Malen keiner Antwort für würdig.
So zeigte sich also bald: Den Wolfratshausener Stadträten war damals, im Sommer 2014, anscheinend gar nicht klar gewesen, was für eine innovative und bürgerfreundliche Satzung sie seinerzeit einstimmig beschlossen hatten. Der Verwaltung aber war genau dies offenbar von Anfang an ein Dorn im Auge und so setzte sie alles daran, diese für die Bürgerrechte wegweisende Entwicklung, die von Wolfratshausen ihren Ausgangspunkt hätte nehmen können, zu stoppen und zum Umkehren zu bringen. Wissen ist Macht, und durch das große Ausmaß an Verwaltungstransparenz sah die Verwaltung ihre Macht gefährdet. Mit der Neufassung der Satzung hat die Verwaltung die Herrschaft nun zurückerlangt. Aus den Reihen der Stadträte gab es dafür Unterstützung und lediglich sechs Gegenstimmen.
Um solche drohenden einklagbaren Ansprüche auf Informationen gar nicht erst aufkommen zu lassen, wird in bayerischen Kommunen und auch auf Ministerebene gerne auf die angstschürende und ansonsten durch nichts zu begründende Phrase zurückgegriffen, bei einem Landes-Informationsfreiheitsgesetz oder bei kommunalen Informationsfreiheitssatzungen würde es sich um "Bürokratiemonster" handeln. Dass solche Regelungen aber etwa in der Landeshauptstadt München, andernorts in Deutschland und in vielen Ländern der Welt anstandslos funktionieren, wird dabei geflissentlich nicht beachtet.
Der Stadtrat in Wolfratshausen hat sich dagegen von der Behauptung der Bürokraten überzeugen lassen, dass die Satzung in der bisherigen Form rechtswidrig und eine Ergänzung um eine Begründung daher notwendig wäre. Sie berufen sich dabei auf den bayerischen Datenschutzbeauftragten, der eine Begründungspflicht bei Anträgen für unverzichtbar hält und argumentiert, eine kommunale Informationsfreiheitssatzung könnte den Bürgern nicht mehr Freiheiten einräumen könne als der neue Artikel 36 im Bayerischen Datenschutzgesetz zulässt. Typisch für die Situation in Bayern: Während in so gut wie allen anderen Bundesländern die Datenschutzbeauftragten zugleich als Informationsfreiheitsbeauftragte fungieren und sich in dieser Rolle entschieden und nachdrücklich für die Rechte der Bürger auf Verwaltungsinformationen stark machen, lässt sich der bayerische Datenschutzbeauftragte dafür instrumentalisieren, das Recht der Bürger auf Wissen abzuwehren.
Dem Stadtrat war allerdings auch bekannt, dass es nach anderer Rechtsauffassungen durchaus zulässig ist, mittels einer Informationsfreiheitssatzung eine weitergehende Regelung zu treffen und bei einer Informationsanfrage nicht auf eine Begründung zu insistieren. Ein solcher voraussetzungsloser (nicht etwa: schrankenloser) Anspruch auf Information macht den Kern der Informationsfreiheitsregeln aus, die in anderen Bundesländern und weltweit Standard darstellen. Genau dieser Kern drohte in Wolfratshausen verloren zu gehen.
Das Bündnis Informationsfreiheit für Bayern hat dem Stadtrat deshalb vor der Entscheidung eine Stellungnahme zugeschickt, darauf aufmerksam gemacht und davon abgeraten, die in Artikel 36 festgelegte Begründungspflicht für Informationsanfragen in die Satzung einzuarbeiten. Hauptaussage: Auf diese Weise wird die Idee der Informationsfreiheit - ein voraussetzungsloses Recht auf Information für jedermann - untergraben. Eine Informationsfreiheitssatzung, die einschränkend auf Artikel 36 verweist, führt sich selbst ad absurdum - sie ist in der Tat das vielbeschworene bürokratische Monster, das sinnlos und überflüssig ist und daher gleich abgeschafft werden kann.
Die Ausführungen des Bündnisses unter Hinweis auf die rechtliche Einschätzung eines Ministerialdirigenten aus dem bayerischen Innenministerium wurden im Stadtrat offenbar jedoch einfach ignoriert. CSU-Stadtrat Alfred Haas, der gegen die Neufassung der Satzung stimmte, brachte es auf den Punkt: Die neue Informationsfreiheitssatzung sei "nicht bürgerfreundlich, sondern verwaltungsfreundlich".
Die neue Wolfratshausener Informationsfreiheitssatzung finden Sie hier: informationsfreiheitssatzung-wolfratshausen-neu
Die bisherige Informationsfreiheitssatzung finden Sie hier: wolfratshausen_informationsfreiheitssatzung_2014
Bericht der Süddeutschen Zeitung über Wolfratshausen